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Ein Semester in Finnland

Robin Lesemann wollte den Winter im hohen Norden erleben und entschied sich für ein Wintersemester an der Universität Tampere. Was der Masterstudent (Wirtschaftsingenieurwesen) dort erlebt hat und was das Besondere an der finnischen Studierendenkultur ist, erzählt er im Interview.

Wie bist du auf die Möglichkeit des Studiums im Ausland aufmerksam geworden?

Freunde haben im Rahmen des „Erasmus+“-Programms ein Auslandssemester absolviert und stehts positiv davon erzählt. Auf der Homepage des Internationalen Zentrums (IZC) habe ich Informationen zu Auslandsaufenthalten und Partnerhochschulen der TU Clausthal gefunden, die mich motiviert haben, an einer Gruppenberatung des IZC teilzunehmen und damit die Planung für mein Abenteuer zu beginnen.

Wieso hast du dich für eine Universität in Finnland entschieden?

Es sollte auf jeden Fall eine Partnerhochschule mit einer großen Auswahl an englischsprachigen Kursen sowohl im ingenieur- als auch wirtschaftswissenschaftlichen Bereich sein. Für die Universität Tampere habe ich mich entschieden, weil ich in einem Wintersemester die nordischen Länder interessant finde, Finnland für sein gutes Bildungssystem bekannt ist und eine außergewöhnliche Studierendenkultur aufweist.

Brauchtest du sprachliche Vorkenntnisse?

Für das Studium und die Kommunikation in Finnland musste ich die Landessprache nicht erlernen. Alle meine Kurse wurden auf Englisch angeboten und die Finnen sprechen vergleichsweise gutes Englisch. Mir hat das Semester auf jeden Fall geholfen, meine Sprachkenntnisse deutlich zu verbessern. Vor allem Englisch, aber ich habe auch ein paar Brocken Finnisch gelernt.

Wie lange warst du dort?

Die Semestertermine in Finnland sind anders als in Deutschland. Das Herbstsemester erstreckt sich von August bis einschließlich Dezember. Ich bin im August ein paar Tage vor dem Beginn der Welcome Week nach Finnland gereist und kurz vor Weihnachten zurück nach Deutschland geflogen.

Wie lief die erste Woche vor Ort ab?

Bereits vor meiner Ankunft wurde ich von einem meiner finnischen Tutoren kontaktiert. Es war hilfreich, im Vorfeld auch Fragen an Studenten stellen zu können. Als ich in Tampere angekommen bin, hat mich ein Tutor abgeholt und zu meiner Wohnung gebracht. In der Welcome Week haben wir uns mit unserer Tutorgruppe (ca. 15 Studierende sowie drei Tutoren) auf dem Campus getroffen und sind anschließend gemeinsam in einen Hörsaal, in eine Mensa, an einen See, zu einer Sauna, in die Stadt oder in Bars gegangen. Das waren gute Gelegenheiten, ein paar der etwa 400 anderen Austauschstudierenden kennenzulernen und mit dem Campus sowie der Stadt vertraut zu werden.

Gab es Unterschiede zu deinem Studium an der TU Clausthal?

Drei zentrale Unterschiede sind die Prüfungsformen, die Flexibilität bei Prüfungen und die Häufigkeit von Gruppenarbeiten. Keinen meiner sechs Kurse konnte ich nur durch eine Klausur erfolgreich abschließen. Stattdessen gibt es semesterbegleitende Aufgaben. In dem Kurs „Turning Circular Economy into Business“ sollten wir zum Beispiel als Gruppe für ein reales Unternehmen einen Businessplan zur Stärkung der Circular Economy in der Geschäftstätigkeit entwickelt und mussten zusätzlich eine Klausur zu den theoretischen Grundlagen bestehen.

Und welche Gemeinsamkeiten hast du festgestellt?

Eine Gemeinsamkeit mit Clausthal war das Betreuungsverhältnis. Obwohl an der Universität Tampere 20.000 Menschen studieren, waren die Lehrenden für Fragen erreichbar. Und in manchen Vorlesungen haben kaum ein Dutzend Studierende gesessen.

Wo hast du während deines Aufenthaltes gewohnt?

Der Campus für die technischen Studiengänge liegt im Stadtteil Hervanta. Dort habe ich in einer 3er-WG mit anderen Studenten gewohnt. Die Wohnungen werden von der Tampere Student Housing Foundation (TOAS) zu günstigen Preisen vermietet und eignen sich durch ihre Möblierung perfekt für Austauschstudierende.

Was ist für dich außergewöhnlich an der finnischen Studierendenkultur?

Das Studierendenleben in Finnland ist aktiv und hat eine eigene Kultur, die mich positiv überrascht hat. Jeder Studiengang ist in einer Gilde organisiert. Diese verfügt über einen gewählten Vorstand, einen Guild-Raum auf dem Campus, ein Maskottchen, ein Logo und eine Farbe.

Die Gilde für Austauschstudierende auf meinem Campus heißt INTO. Studierende in Finnland tragen bei diversen Veranstaltungen Overalls in der Farbe ihrer Gilde. Auf die Overalls werden Patches genäht, zum Beispiel für die Teilnahme an Veranstaltungen. Ich habe meinen Overall im November bekommen und seitdem gerne getragen.

Alle Erstsemester in Finnland werden als „Fuksis“ bezeichnet. Die Bezeichnung rührt vom deutschen Wort „Fuchs“ her, was in einigen Studentenverbindungen der Begriff für neue Mitglieder ist. Am Beginn eines Studiums erhalten Studierende technischer Studiengänge einen „Fuksipassport“, in dem sie durch die Partizipation am Studierendenleben Punkte sammeln können. Wer mindestens 300 Punkte vorweisen kann, kann am 1. Mai gedippt (ins kalte Wasser getaucht) werden und so vom „Fuksi“ zum „Teekkari“ (technischen Studenten) aufsteigen. Eine weitere Tradition ist, dass bei manchen studentischen Events um Mitternacht das Licht und die Musik ausgehen und gemeinsam die Teekkari-Hymne gesungen wird. Außerdem existiert mit dem „Rasputin“ ein Liederbuch, aus dem auf „Sitsits“ (akademische Abendessen mit Kaltgetränken) gemeinsam gesungen wird.

Was hast du in deiner Freizeit gemacht?

Tampere bietet viele Bars, Museen, Natur und kulturelle Veranstaltungen. Wir, die ausländischen Studierenden, haben uns gerne nachts an einem See getroffen und auf Nordlichter gehofft. Das war zwar nicht immer von Erfolg gekrönt, aber das Glück ist mit den Tüchtigen und so konnte ich mehrfach die grünen Lichter am Himmel bestaunen.

Ich habe häufig an Veranstaltungen teilgenommen, die INTO für Austauschstudierende organisiert hat, zum Beispiel Ausflüge oder Sauna-Partys. Besonders haben mir „food exchanges“ gefallen, bei denen jeder ein Gericht aus seinem Heimatland mitbringt. Mir hat es das asiatische Essen angetan. Die Asiaten wiederrum begeisterten sich für deutsches Stockbrot, das ich öfter an einem der öffentlichen Feuerplätze an einem See gemacht habe.

Darüber hinaus wollte ich möglichst viel außerhalb von Tampere sehen. Ich habe mir Helsinki und Turku angeguckt, war in drei Nationalparks wandern und habe die baltischen Staaten bereist. Mein Highlight war eine Reise nach Lappland. Drei Reisebusse voll mit Austauschstudierenden von meinem Campus waren vier Nächte in einem Dorf am Drei-Länder-Eck. In der Zeit sind wir bei bis zu -18 Grad Schneemobile und Husky-Schlitten gefahren, haben Rentiere gefüttert, waren saunieren und schwimmen in einem norwegischen Fjord und haben die Winterlandschaft ausgenutzt.

Hast du einen Freizeittipp?

Das ist schwierig, weil die Möglichkeiten so vielfältig sind. Man sollte auf jeden Fall eine finnische Sauna besuchen, denn der Unterschied zu Deutschland ist groß. Die meisten tragen Badekleidung und unterhalten sich in der Sauna lautstark, der Aufguss wird von Besuchern gemacht und nach dem Saunagang geht es – unabhängig vom Wetter – in einen See. Im Winter wird dieser notfalls freigesägt.
Nachts Ausschau nach Nordlichtern zu halten ist ebenfalls sehr empfehlenswert, und einmal ein Eishockeyspiel in Finnland gesehen zu haben.

Hast du Freundschaften geschlossen, die noch bestehen?

In den vier Monaten habe ich interessante Menschen kennengelernt und Freunde gewonnen. Es ist interessant, wie ähnlich wir uns manchmal waren, obwohl wir aus ganz unterschiedlichen Ländern kommen. Generell freue ich mich, in ganz Europa und Asien Kontakte geknüpft zu haben und vielleicht gelingt es mir, den ein oder anderen in seinem Heimatland wiederzusehen.

Was ist dir besonders im Gedächtnis geblieben?

Die gesamte Zeit. „Besonders“ wahrscheinlich das, was man schwer in Worte fassen kann: das Gefühl von Freiheit, Internationalität, unter wohlwollenden unternehmenslustigen Menschen zu sein.

Vermisst du etwas aus deiner Zeit im Ausland?

Was mir am meisten fehlt, ist die internationale Atmosphäre und die vielen Ausflüge. Zwar könnte man in Deutschland ebenfalls einiges unternehmen, aber da die Möglichkeit immer besteht und die Zeit viel weniger begrenzt ist als im Auslandssemester, setze ich diese Pläne langsamer um. Und ich würde gerne nochmal mit meinem Overall losziehen.

3 Tipps für andere Studierende:

  • Nutzt die Chance, Auslandssemester zu machen.
  • Im Ausland: Baut euch einen internationalen Freundeskreis auf. An Diskussionen mit jungen Menschen aus aller Welt kann man unwahrscheinlich wachsen.
  • Für ein Auslandssemester: Es lohnt sich, sich frühzeitig um Organisatorisches wie eine Unterkunft vor Ort zu kümmern.